Eine Krankheit, die oft nicht erkannt wird

Patienten berichten, wie es ist, mit einem Lipödem zu leben

Abwertende Blicke und beleidigende Kommentare wegen ihrer Figur gehören für Brigitte Brühl zum Alltag. Was viele nicht wissen, Brigitte Brühl ist nicht einfach dick, sie hat eine Krankheit – ein Lipödem. Es handelt sich dabei um eine schmerzhafte Erkrankung des Fettgewebes, bei der sich Flüssigkeit im Gewebe ansammelt. Bei ihr sind in erster Linie die Oberschenkel betroffen. Das führt nicht nur zu einem Ungleichgewicht auf den Beinen, sie hat vor allem mit Berührungsschmerzen und einem starken Spannungsgefühl zu kämpfen. Und die Masse, die sie krankheitsbedingt mit sich herumträgt, schränkt sie in ihrem Alltag ein. Sich anzuziehen ist für Brigitte Brühl sehr anstrengend – vor allem Socken und Hosen. Wenn der Fußboden zu glatt ist, benötigt sie eine extra Matte, um nicht wegzurutschen.

„Die Dunkelziffer der Menschen, die in Deutschland an einem Lipödem leiden, ist groß“, berichtet Dr. Petra Scheffer, Chefärztin für Plastische, Rekonstruktive und Ästhetische-Chirurgie/Handchirurgie an der Sportklinik Hellersen. Eine Art Vorsorgeuntersuchung gebe es nicht. „Sogar, wenn man Proben des Fettes entnehmen würde, kann man die Krankheit nicht wirklich nachweisen“, erklärt die Ärztin. Ein wichtiges Anzeichen seien Schmerzen. Manche Patienten verbleiben zwar im ersten Stadium der Krankheit, in dem noch keine gravierende Hautveränderung zu sehen ist, haben aber dennoch extreme Schmerzen durch Druck oder Berührung. Das Stadium zeigt nämlich nur den Grad der Hautveränderung und nicht der Schmerzen. Äußerliche Symptome können eine symmetrische Schwellung, ungewöhnliche Proportionen, ein verhärtetes Unterhautgewebe, eine starke Neigung zu Hämatomen und die Fettvermehrung sein. Es kommt schleichend zu Veränderungen.

Dr. Scheffer hat viele Patienten – vorrangig Frauen – mit dieser Erkrankung. Bemerkbar macht sich nicht nur, dass die Akzeptanz in der Bevölkerung fehlt, der Fall war in der Vergangenheit auch fast immer derselbe: Die Krankenkasse bezahlt zwar die Kompressionswäsche und Lymphdrainage, aber nur in seltenen Fällen die operative Behandlung. Oft erst im dritten Stadium und auch nur unter bestimmten Voraussetzungen. So skurril es klingt, aber Brigitte Brühl hatte Glück, sich im dritten Stadium der Krankheit zu befinden und dass gleichzeitig eine Fettabsaugung für eine nötige Knie-OP unvermeidbar war. Durch die Entfernung des krankhaften Fettgewebes verschwindet das Lipödem nicht vollständig, aber die Schmerzen verringern sich.

„Erste Anzeichen für die Krankheit gab es schon in meiner Kindheit – ich hatte immer breite Beine und einen breiten Hintern, obwohl ich sonst schlank war. Damals wusste man aber noch nichts von einem Lipödem“, erklärt Brigitte Brühl. In der Pubertät sei es dann extremer geworden, bis es mit der Schwangerschaft schließlich „explodiert“ sei, beschreibt sie. Ihr Gewicht stieg von 78 auf 126 Kilogramm. „Es wird vermutet, dass das Lipödem hormonell bedingt ist, zum Beispiel durch Umstellungen in der Pubertät, der Schwangerschaft oder in den Wechseljahren“, erklärt Dr. Petra Scheffer. „Bei keinem schellten damals die Alarmglocken. Im Gegenteil, ich bekam Kommentare zu hören wie: Du sollst doch nicht so viel essen“, erinnert sich Brigitte Brühl. Sie ist froh, dass sie eine starke Persönlichkeit hat. Vielen anderen ginge es nicht so, sie befänden sich aufgrund der Vorwürfe in psychischer Behandlung.

Die Diagnose Lipödem kam vor 20 Jahren eher zufällig. „Ich bin mit Rückenproblemen bei einer Physiotherapeutin gewesen. Sie machte mich darauf aufmerksam und riet mir, mich von einem Arzt untersuchen zu lassen. Da wurde festgestellt, dass vieles dafürspricht“, sagt Brigitte Brühl. Die Behandlung mit Lymphdrainage und einer Kompressionshose begann. Die Krankheit verschlimmerte sich über die Jahre dennoch. Sie ist froh, durch die Fettabsaugung nun endlich eine Besserung zu erleben, die gleichzeitig eine Erleichterung für den Alltag bedeutet.

Die Fettabsaugung beziehungsweise Gewichtsabnahme bedeutet allerdings nicht die Lösung aller Probleme, wie das Beispiel einer anderen Patientin, Yvonne Kohles, zeigt. Auch bei ihr wurde das Lipödem zufällig erkannt. Mit viel Disziplin und Ehrgeiz schaffte sie es aus eigener Kraft – auch schon vor der Diagnose – über mehrere Jahre hinweg 64 Kilogramm abzunehmen. Mit der Gewichtsabnahme reduzierten sich die Schmerzen, wenn sie auch nie ganz verschwanden. „Als ob jemand mit einem Nagel sticht oder zwickt und wenn die Haut angefasst wird, ist das ein unangenehmes Gefühl“, beschreibt Yvonne Kohles. Was trotz schwindender Kilos blieb, war allerdings eine große Menge überschüssige Haut, die ihr nun Probleme bereitet. „Mein Bauchnabel hat sich schon mehrfach entzündet und gerade im Sommer reiben die Beine aneinander aufgrund der Hautmasse. Vor allem aber habe ich beim Sport Schmerzen in der Brust und die überschüssige Haut hindert mich daran, manche Sportübungen auszuüben“, berichtet die Patientin. Dennoch lehnte ihre Krankenkasse die Kostenübernahme für eine Straffungs-Operation ab. Ihr blieb nichts anderes übrig, die Kosten selbst zu tragen, um von den Schmerzen und der Einschränkung befreit zu werden, um ganz normal leben zu können.
 


Die Folgen eines Lipödems
Die Folgen eines Lipödems sind vielfältig. So kann die Wasseransammlung in dem krankhaft veränderten Fettgewebe zunehmen, sodass die Bindegewebssepten um das Fett verhärten und es zu Abflussbehinderungen der allgemeinen Lymphbahnen kommt. Dadurch kann sich wiederrum ein Lymphödem ausbilden. Zudem kann es zu Bewegungsstörungen kommen, die allgemein mit der Gewichtszunahme einhergehen, oder es können sich Beinachsen-Fehlstellungen entwickeln.

Wie sehen die Therapiemöglichkeiten aus?
Behandlungsmöglichkeiten sind Kompressionswäsche, Lymphdrainage bis zu Komplexen Physikalischen Entstauungstherapien (KPE), um die Wassereinlagerungen zu reduzieren und die Schmerzen zu verringern. Auch das achten auf ein gesundes Körpergewicht ist wichtig, weshalb bei vielen Patienten eine Ernährungsberatung nötig ist. Eine zusätzliche Therapie ist die Fettabsaugung, um das krankhafte Fettgewebe zu entfernen. Die Krankenkassen übernahmen in der Vergangenheit jedoch nur in seltenen Fällen die Kosten dafür. Der Gemeinsame Bundesausschuss hatte für September 2019 bis zum 31.12.2024 folgende Kriterien für die Kostenübernahme festgelegt: Die Krankheit muss das dritte Stadium erreicht haben, eine sechsmonatige konservative Therapie hat keine Linderung bewirkt und der BMI darf für eine Fettabsaugung nicht über 35 liegen. Bezüglich der Kostenübernahme für die Fettabsaugung könnte sich aber schon bald etwas zum Positiven für die Patienten ändern. Mit einer Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) von Ende März dieses Jahres wurde die vorherige Rechtsprechung etwas korrigiert.

Ist Prävention möglich?
Mit Sport kann der Krankheit etwas vorgebeugt werden, da die Muskulatur die Durchblutung verbessert. Zudem sollten Betroffene keine Faszien-Rolle benutzen, da durch diese der Entzündungsprozess forciert wird. Besonders wichtig ist, nicht adipös zu werden, denn mit zunehmendem Gewicht wird der Druck auf die krankhaften Fettzellen größer, wodurch wiederrum Schmerz ausgelöst wird. Umgekehrt wurde nachgewiesen, dass sich die Schmerzen bei Gewichtsverlust bessern. Sie verschwinden allerdings nicht vollständig.

Hautstraffung
In einigen Fällen ist eine Folge-OP – eine Straffungsoperation – nötig, um den Hautüberschuss, der durch die Fettabsaugung entstanden ist, zu entfernen. In diesem Fall ist die Kostenübernahme durch die Krankenkasse ebenfalls oft schwierig, obwohl die Hautstraffung nicht nur ästhetische Gründe hat. Wenn die Haut aufeinander lappt entstehen Falten, in denen sich Pilze bilden können. Zudem schränkt die Masse an Haut in der Bewegung ein und sorgt für Schmerzen.

 

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